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GEDENKEN AN ARMENIER-MASSAKER

Türkei macht gegen Union mobil



Wochenlang versuchte die Regierung in Ankara, Druck auf die Union auszuüben: Hinter einem Antrag, den die CDU/CSU im Bundestag zum Massaker der Türken an den Armeniern einbringt, vermutet die Türkei einen Komplott, um den EU-Beitritt zu verhindern. Doch vergeblich: In dieser Woche wird im Bundestag der Antrag beraten.

Berlin - In der vergangenen Woche erhielten die Bundestagsabgeordneten Post vom türkischen Botschafter Mehmet Ali Irtemcelik. "Mit der Zuversicht, dass Sie entsprechend der vielschichtigen Sensibilität und mit dem der Bedeutung dieses Themas gebührenden Verantwortungsbewusstsein vorgehen werden, danke ich Ihnen für die Zeit, die Sie dafür aufwenden", so die Bitte des Diplomaten.

Die Sendung enthielt Dokumente, in denen die Türkei ihre verharmlosende Sicht des Völkermords an den Armeniern darstellt. "Verkürzungen" machte darin der frühere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Christoph Bergner, aus. "Dass eine Botschaft so ein Material an Abgeordnete weiterleitet, ist äußerst fragwürdig", wundert sich der Christdemokrat.

In diesem Jahr jährt sich zum neunzigsten Mal der Massenmord an den Armeniern, der am 24. April 1915 seinen Anfang nahm. CDU und CSU nahmen das Datum Mitte Februar zum Anlass, einen Gedenk-Antrag in den Bundestag einzubringen. Die geschichtliche Aufarbeitung des Völkermords gehöre für die Union zur europäischen Erinnerungskultur, betonten CDU-Politiker. Seitdem ist Ankara verstimmt. Aber auch die Bundesregierung geriet in Nöte.

Nun wird an diesem Donnerstag über den Antrag im Bundestag beraten. Statt einer Abstimmung wird das Papier zunächst in die Ausschüsse überwiesen. Ein gängiges Verfahren im Parlamentsalltag - das allerdings in diesem Falle eine außenpolitische Note erhielt. Denn nun wird der Antrag erst im Mai oder im Juni zur Abstimmung kommen - also nach der Reise des Kanzlers vom 3. bis zum 4. Mai in die Türkei.

Ursprünglich hatten SPD und Grüne sogar daran gedacht, ein eigenes Papier ins Parlament einzubringen. Wegen interner Abstimmungsprobleme und aus Rücksicht auf die Bundesregierung wurde darauf aber verzichtet, heißt es.

 
Das Thema ist brisant. Denn in der Türkei ist der Mord an der christlichen Minderheit der Armenier noch immer ein Tabu. Historiker im Westen gehen von mehr als einer Million Opfern aus.

Von Völkermord oder Genozid zu sprechen, wie es in vielen Forschungen heutzutage getan wird, wagt auch der Unionsantrag nicht. Peinlichst wurden beide Worte darin vermieden - um die Tür für künftige Gespräche mit der türkischen Seite nicht zuzuschlagen. Stattdessen wird an die "planmäßige Durchführung der Massaker und Vertreibungen" erinnert. Die Bundesregierung solle dafür eintreten, "dass sich die Türkei mit ihrer Rolle gegenüber dem armenischen Volk in Geschichte und Gegenwart vorbehaltlos auseinandersetzt". Zudem müsse sie sich "für die Gewährung der Meinungsfreiheit in der Türkei, insbesondere auch bezüglich der Massaker an den Armeniern" einsetzen.

Scharfe Töne aus Ankara

Kaum hatte die Union den Antrag eingebracht, brach ein Sturm der Entrüstung über sie herein. Die türkische Seite mobilisierte ihre Diplomaten und Politiker, in den Medien wurde eine regelrechte Kampagne gegen die Union gestartet. "Es steht ausschließlich Historikern zu, über geschichtliche Ereignisse Urteile zu fällen", lautet die offizielle Linie Ankaras, die sich etwa in der Presseerklärung des Botschafters vom 27. Februar wieder findet. Das zweiseitige Papier wurde auch an alle Konsulate der Türkei in der Bundesrepublik verschickt - und ging von dort an sämtliche Landtagsfraktionen von CDU und der CSU.

 
"Wir möchten nicht hoffen, dass unsere Freunde in den Unionsparteien durch die plumpe Verleumdung der türkischen Geschichte beabsichtigen, insbesondere unsere hier lebenden Bürger zu beleidigen und auf diese Weise den Integrationsprozess zu beeinträchtigen sowie den traditionellen und vielfältigen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland Schaden zuzufügen", heißt es da. Und: Eine so wichtige Institution wie die CDU/CSU werde der Verantwortung für Deutschland nicht gerecht, "wenn sie sich zum Sprecher des fanatischen armenischen Nationalismus macht".

Ankara ließ nichts unversucht, um ihre Deutung der Geschichte vorzubringen. Bergner und der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger trafen sich gleich zweimal mit türkischen Politikern. Zum einen mit zwei führenden Vertretern der regierenden konservativ-islamischen AKP, dem früheren Außenminister Yasar Yakis und Saban Disli, zum anderen mit Mitgliedern des EU-Harmonisierungsausschusses der Nationalversammlung in Ankara.

Beim Gespräch mit den beiden AKP-Vertretern Yakis und Disli erörterten die Christdemokraten auch die Möglichkeit, ob zwei Historiker der deutschen und zwei der türkischen Seite sich des Themas noch einmal annehmen. Das soll geschehen. "Auf unsere Beschlusslage hat das aber keinen Einfluss, das betone ich ausdrücklich", so Bergner.

Ebenso suchten türkischstämmige Christdemokraten aus Berliner Bezirken das Gespräch. Sie hätten von Austritten aus der CDU berichtet, berichtet Bergner. Das Thema sei emotional aufgeladen, stellte er fest.

Ankara vermutet eine Anti-Beitritts-Kampagne

 
Ankara vermutet hinter dem Antrag den Versuch, dem Land den Zutritt zur EU zu erschweren. Im Gegensatz zu Rot-Grün und dem Kanzler ist die Mehrheit in der Union gegen eine Vollmitgliedschaft und plädiert stattdessen für eine privilegierte Partnerschaft des Mittelmeer-Staates. Bergner weist die Behauptung, man wolle die Annäherung der Türkei an Europa durchkreuzen, weit von sich. Um die Frage der Türkei und die Art und Weise, wie sie an die EU herangeführt werde - ob durch eine EU-Vollmitgliedschaft oder privilegierte Partnerschaft - nicht mit der Armenierfrage zu belasten, werde der Antrag federführend im Auswärtigen Ausschuss beraten - und nur begleitend im Europaausschuss, betont er. "Es geht beim Gedenken an den 90. Jahrestag nicht darum, die Türkei auf die Anklagebank zu setzen, sondern sie in die europäische Erinnerungskultur mit einzubeziehen", sagte der Christdemokrat . Die EU sei als "Versöhnungswerk" entstanden. Dazu gehöre auch, "sich den dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte zu stellen".

Doch wenn es um das dunkelste Kapitel der türkischen Geschichte geht, wird die türkische Botschaft schnell aktiv. Als kürzlich das Land Brandenburg den Völkermord an den Armeniern in ein Schulbuch aufnehmen wollte, sprach der Generalkonsul Aydin Durusoy persönlich beim Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck vor. Kurzfristig zurückgestellt, wird das Vorhaben nun nach einer Überarbeitung des Lehrplans doch noch realisiert. Vorgesehen ist nun ein Kapitel über mehrere Genozide, darunter auch den 1915/16 verübten Völkermord an den Armeniern.

In Berlin gedachten vor vier Wochen Türken des früheren Innenministers des Osmanischen Reiches, Mehmed Talaat Pascha. Organisiert worden war die Kranzniederlegung vom Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Berlin, Tacittin Yatkin. Talaat, der mit deutscher Hilfe nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches nach Berlin geschleust worden war, gilt als einer der Hauptverantwortlichen der Massaker.

Yatkin nannte Pascha noch im März einen "Märtyrer". Der frühere Innenminister des Osmanischen Reiches war am 15. März 1921 von einem jungen Armenier auf der Hardenbergstraße in Berlin erschossen worden.

Die Aktivitäten der türkischen Seite zeigen: Der Antrag der Union hat die regierende AKP unter Zugzwang gesetzt. Auf dem Weg nach Europa versuchte sie vergangene Woche, das Thema in die Hand zu nehmen. In der Nationalversammlung wurde eine Resolution verabschiedet, in der unter anderem eine türkisch-armenische Historikerkommission vorgeschlagen wird. Ohne den Unionsantrag zu erwähnen, wurde darin der Versuch verurteilt, dass "ausländische Parlamente zu einem unter internationalen Historikern umstrittenen Kapitel der Geschichte der osmanischen Armenier" Beschlüsse fassten.